Forschungsgrundlagen zur Philosophiegeschichte: Hans Vaihinger

Hans Vaihinger

Projektleitung: Prof. Dr. Gerald Hartung / Dr. Jörn Bohr / Dirk Schäfer

Nach einem bereits exemplarisch durchgeführten Forschungsprojekt – Grundlagenforschung zur Philosophiegeschichte: Wilhelm Windelband (DFG HA 2643/14-1) – soll an einer zweiten Fallstudie die Leistungsfähigkeit der von uns entwickelten Konzeption „Philosophiehistorische Grundlagenforschung“ aufgezeigt werden. Es geht nach dem Pilotprojekt um den kontrollierten Nachweis der Reproduzierbarkeit und Übertragbarkeit der Methoden und der heuristischen Struktur der Konzeption. Bisher hat sich gezeigt, dass neben den Forschungen zu einigen „Leuchttürmen“ der jüngeren Philosophiegeschichte, bspw. des Deutschen Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel), einiger erst im nachfolgenden Jahrhundert wirkmächtiger Philosophen von geradezu ikonischen Zuschnitt (Marx, Nietzsche) und verschiedener Strömungen und Schulbildungen (Materialismus, Positivismus, Neukantianismus) kaum Grundlagenforschung zur Herausbildung der Philosophie als Fachwissenschaft (Lehrbücher, Fachzeitschriften), zur Professionalisierung des Philosophieunterrichts (Universitäten, Höhere Schulen) und zur Editionstätigkeit (Entstehen kritischer Textausgaben, Klassiker-Ausgaben) gibt. Um auf dieses Desiderat eine Antwort zu geben und die bestehenden Lücken zu schließen, die für das aktuelle Selbstverständnis der Philosophie als Fachwissenschaft eine kaum zu überschätzende Bedeutung haben, soll die Konzeption „Philosophiehistorische Grundlagenforschung“ am Beispiel von Werk und Wirkung des Philosophen Hans Vaihinger (1852–1933) weiterentwickelt werden.

Das Beispiel Vaihingers steht für die Bemühung, bei aller Verwissenschaftlichung und weit reichenden Institutionalisierung, „die schließlich ein arbeitsteilig organisiertes … Universitätswesen … schufen, in dem die Philosophie sich zunehmend organisatorisch, personell und fachlich verselbständigte“ (Köhnke), das politische Engagement für Völkerverständigung und Internationalisierung voranzutreiben, intensiviert am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Unsere Perspektive auf das 19. Jahrhundert ist, zumindest teilweise, verstellt durch die Wirkungsgeschichten einzelner Gelehrter im zurückliegenden Jahrhundert. Die in akademischer Hinsicht wirkungsmächtigen und ihre Zeit gestaltenden „Kleinmeister der Philosophie“ (Karlfried Gründer) oder „mittleren und größeren Kleinklassiker“ (Köhnke) verblassen hinter den Bildern akademischer Außenseiter, von Arthur Schopenhauer über Eduard von Hartmann bis zu Friedrich Nietzsche.

Es geht im Rahmen des Forschungsvorhabens darum, zumindest exemplarisch die Einsicht in die Wirksamkeit einer Reihe von akademischen Philosophen herauszuarbeiten, die für die Schaffung der Fachwissenschaft Philosophie und die Professionalisierung der Philosophie in Forschung und Lehre verantwortlich zeichnen. Sie waren es auch, die das internationale Ansehen der deutschsprachigen Philosophie begründet haben und Strukturen – des Unterrichts an Universitäten und Höheren Schulen, der Sammlung und Vermittlung von Wissen in Lehrbüchern und Fachzeitschriften – erprobt haben, die um 1900 in andere Länder importiert wurden. Zu diesem Kreis der akademischen Lehrer in der nach-idealistischen Phase deutschsprachiger Philosophie gehören Friedrich Adolf Trendelenburg (1802–1872), Eduard Zeller (1814–1908), Hermann Lotze (1817–1881), Kuno Fischer (1824–1907), Friedrich Ueberweg (1826–1871), Friedrich Albert Lange (1828–1875), Wilhelm Wundt (1832–1920), Alois Riehl (1844–1924), Rudolf Eucken (1846–1926) und einige mehr. Selbstverständlich gehören zu diesem Kreis auch die bereits gut erforschten Wilhelm Dilthey (1833–1911) und Hermann Cohen (1842–1918), deren Werk in (noch nicht abgeschlossenen) Gesamtausgaben dokumentiert wird.

Hans Vaihinger kann als herausragendes Beispiel eines für die Außenwirkung seines Fachs und für die weltweite Vernetzung der Philosophie wichtigen Hochschulprofessors im wilhelminischen Deutschland und in der Weimarer Republik angesehen werden. Zunächst v. a. als Kantforscher und Kommentator hervorgetreten, erreichte seine Philosophie des Als Ob (1911) in zahlreichen Auflagen und Übersetzungen ein internationales Publikum, das sich nicht auf die philosophische Fachwelt beschränkte, sondern auch ein juristisches und theologisches, wie nicht zuletzt auch ein künstlerisches und hier besonders ein literarisches Publikum anzog. Die Thesen Vaihingers werden bis heute rezipiert und gleichermaßen für Literaturwissenschaft wie literarische Praxis diskutiert. Am Werk und Wirken Vaihingers können innere wie äußere Umstände der akademischen Philosophie um 1900 abgelesen werden. Er befördert die Institutionalisierung der Philosophie und ihre Herausbildung als Fachwissenschaft, indem er

  • philosophiehistorische und systematische Forschungen (bspw. zur Erkenntnistheorie) betreibt (bspw. in seiner Philosophie des Als Ob, 1911);
  • zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften, zu erkenntnistheoretischen Implikationen des Fortschritts der Wissenschaften und zu methodologischen Fragen der Philosophie arbeitet, insbesondere eine eigenständige Version des Pragmatismus entwirft;
  • zur Frage der Klassizität und zur Theorie und Praxis des Kommentierens philosophischer Texte (am Bsp. Kants) forscht;
  • neue Institutionen und Fachzeitschriften begründet: die Zeitschriften Kant-Studien (seit 1897) und Annalen der Philosophie mit besonderer Rücksicht auf die Probleme der Als-ob-Betrachtung (seit 1919) gehen auf seine Initiative zurück; ebenso die Gründung der Kant-Gesellschaft (1904);
  • am Aufbau eines nationalen und internationalen Gelehrten-Netzwerks arbeitet sowie in institutionellen Zusammenhängen sehr einflussreich ist, bspw. durch gutachterliche Äußerungen über Fachkollegen.

Vaihinger, Johannes (Hans) Carl Eugen

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